my head is my studio
Dynamik und Verwaltung ihres Echos–ein Dialog im Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur

In einem nahezu leeren Raum sitzt ein Mann mit dem Rücken zum halb abgeblendeten Fenster an einer Staffelei und malt etwas, das eine Landschaft werden könnte. An der Wand hängen Lineale, ein Geodreieck und zwei Paletten. Der nüchterne Eindruck des Bildes wird verstärkt durch die schrafe perspektivische Zeichnung des schmucklosen Interieurs und seiner pragmatischen Utensilien. Eine geheime Diagonlae durchzieht die karge Szenerie: das Blau des Himmels draußen ist über das gelblich leuchtende Gesicht des Malers komplementär verbunden und weiter noch mit dem intensiven blauen Pigment, das vorne rechts in einem Glas auf dem Tisch steht. Georg F. Kersting verschränkt in seinem Bild von 1811 (Kunsthalle Hamburg) so das abgeschottete Atelier mit dem Außenraum, dem sich der Maler in einem angefangenen Bild als Destillat widmet. Zugleich weist er den in der Bildmitte sitzenden Künstlerkollegen Caspar David Friedrich in seinem Atelier–als einen konzentrierten, geistig schaffenden Künstler aus. Er hat sich am Ort der Produktion aller sinnlichen Ablenkungen entledigt. Dieser Maler arbeitet nicht an einem Abbild, sondern mit einem Bildkonzept an einer inneren Vorstellung, die er der Welt gegenüberstellt. Kerstings sprödes Bild demonstriert diese künstlerische Haltung klug und programmatisch. Er sagt auch, daß die Vorstellungen vom Künstler, was er sei und wie er zu arbeiten habe, ogt nicht mehr stimmen, wenn die Künstler die Kunst schon längst geändert haben. Kersting geht hier historisch auf Distanz zu einem Bild des Künstlers als Handwerker, der gesellschaftlich legitimiert und gezügelt in Serie schafft. Andererseits bricht er auch bereits mit einem Künstlertypus des sinnlich-expressiven Titanikers, der mit beiden Händen in der Materie nach Form wühlt. kerstings Atelierbild bereichert vielmehr das Spektrum der Künstlertypen um den des konsequenten Individualisten. Olav Raschke betreibt in seinen zumeist fotografischen Arbeiten seit jeher eine Sichtung scheinbar ephemerer Phänomene, Räume und alltäglicher ästhetischer Codes. Gerade diese weist er als gesellschaftlich signifikante Nahtstellen auf. Er spürt darin Verborgenes auf und thematisiert es zumeist in indirekter Rede: er zeigt uns die aufgeladene Hülle und überführt die assoziationsreiche Struktur von An- und Abwesenheit in ein bedeutungsvolles Spannungsfeld.

Seit 1994 gibt es eine Serie, in der Raschke geschlossene private Fotoalben neutral fotografiert und klassisch rahmt. Jedes dieser Alben enthält eine individuelle (Lebens-)geschichte, die uns gänzlich vorenthalten wird. Die dekorativen Zierumschläge der Alben fragen dabei geradezu nach dem gelungenen Leben und seinen Parametern. Sie problematisieren die generelle Möglichkeit individueller und die Dominanz sich immer mehr kollektivierter Erinnerungsbildung in einer ausschließlich auf Zukunft gerichteten Gesellschaft. Dieselbe Fragestellung liegt den Fundstücken der vor der Entwicklung zur Wiedererkennung mit Kurzvermerken (Urlaub Schweden Mai 96, Monika) beklebten Filmdosen zugrunde. Diese vergrößerte Raschke auf Mülltonnenmaß und treibt so ebenso sentimentale wie zynische, ironische und kritische Konnotationen hervor. Nächtens solitär geblitzte Garagen (ab 1997), in scheinbar unendlicher Reihe gehängt, repräsentieren die auf Werterhaltung gesellschaftlicher Trophäen ausgerichtete enge Welt der Vorstädte: wohl nicht nur das Auto wird hier weggeschlossen. Trostlose Orte, an denen Observation nötig scheint, bilden die Szenerie der kalten Überwachungsspiegel (1998), die selbst wie übergroße seelenlose Augen wirken. Das Begriffspaar „Früher/Später“, schwarz und typografisch mächtig auf die Wand einer Bank-Schalterhalle gemalt (2000), ruft das Glücksversprechen an, das sich mit Geld existentiell verbindet. Ohne dieses gibt es offenbar keine Gegenwart und mit ihm nur einen Abgleich von Plus und Minus. Schließlich handeln Selbstporträts mit riesigen Schweißflecken auf Brusthöhe unterschiedlicher T-Shirts (1998/2002) von der für den Kapitalismus konstitutiven Abhängigkeit der Determinanten von Geld und Zeit: um das jeweilig Eine oder Andere zu erreichen, muss in jedem Fall eins von beiden eingesetzt werden. Was zwischen beidem existenziell vermittelt, ist–mitunter harte oder–und körperliche–Arbeit. Im Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur in Hannover zeigt Olav Raschke fünf Ansichten von Künstlerateliers. Die Künstler selbst sind an ihrem ureigensten Ort der Produktion bewusst nicht zu sehen und werden auch nicht genannt.

Denn wie in allen Arbeiten bisher vermeidet Raschke diszipliniert individuelle Narration zugunsten eines distanzierten Blicks, der hier aus einem übersichtlichen, leicht erhöhten Winkel des tiefenscharf gezeichnete Raumbild öffnet. Die präzis aufgenommenen Interieurs, von denen das eine wie eine Werkstatt, das andere wie ein Büro oder ein banaler Computerarbeitsplatz unterm Dach ausschaut, tragen ihre fotografische Qualität mit einer solchen Kraft vor, dass einem überhaupt erst beim zweiten Blick das Sujet bewusst wird. Zuvor sieht man vor allem Raum mit Farbflächen und skulpturalen Formkonglomeraten, als seinen Modelle fotografiert worden.Aus den vollkommen unterschiedlichen künstlerischen Interieurs haben sich fünf künstlich anmutende Raumbilder entwickelt. Hier scheint die Kamera nach den Gesetzen ihres neutralen all-overwatching, das dem menschlich-selektiven Schauen so entfernt ist, aufgeräumt zu haben. Jeder banale Karton, jede sich ringelnde Kabelschnur, jedes Handwerkszeug und jedes Möbel sind am Platz und scheinen wie in geheimer Absprache zu einer artifiziellen Komposition mit abstrakten Qualitäten zusammengetreten zu sein. Raschke würdigt die Orte der künstlerischen Produktion und ihre Vielfalt, indem er ihnen mit Mitteln seiner Kunst begegnet. Sinnigerweise ist es die Genese von Kunst selbst, die uns Raschke–hier auf gleicher Höhe wie Kersting mit C. D. Friedrich–gerade in Abwesenheit jeglicher visualisierter Aktion eigentlich vorführt, wenn er uns die kunst- und werklosen Räume seiner Kollegen zeigt; es ist die Verwandlung in eine höhere ästhetische Qualität mit dichterer Information. Olav Raschkes Fotografien von Atleiers haben in ihrer schlichten Präsentation – Ansicht neben Ansicht – im Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur eine zusätzliche installative Qualität. Ist es doch jene Behörde, in deren langen, vom Treppenhaus als Ausstellungsort abgehenden Fluren, Büros und Sitzungssälen über Leitlinien und Förderung von Kultur im Allgemeinen und Kunst im Besonderen entschieden wird. Olav Raschke führt die individuellen und in Eigenverantwortung betriebenen Orte der Kunstproduktion mit denen der institutionalisierten Kulturbürokratie eng: die Vertreter beider Seiten müssen sich ständig fragen und fragen lassen, was verhandelt werden soll und wofür sie stehen.

Rolf Bier